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Mittwoch, 31. Oktober 2018 - 19:00

"Armer Bettler, böser Rom": Antiziganismus im Armutsdiskurs

Eine Analyse des aktuellen medialen wie kommunalpolitischen Antiziganismus in Frankfurt vor dem Hintergrund seiner gesellschaftlichen Grundlage sowie seiner ungebrochenen historischen Kontinuität. Mit Benjamin Böhm, Politikwissenschaftler, Soziologe und Sozialarbeiter.

Als Italiens Innenminister Matteo Salvini im Sommer dieses Jahres vorschlug, alle RomNia Italiens polizeilich zu erfassen, war die Empörung deutscher Leitmedien über die protofaschistische Politik der Lega Nord groß. Der massenmediale Fingerzeig auf die italienischen Verhältnisse ignorierte jedoch die Tatsache, dass auch in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert RomNia, SintiZe und andere Markierte kriminalisiert und polizeilich erfasst werden. Erst vor Kurzem kam der Politologe Markus End zum Schluss, dass die kriminalpolizeiliche Kategorisierung der RomNia und SintiZe in Frankfurt bis in die heutige Zeit stattfindet.

Die antiziganistische Ideologie und ihr Widerhall in Deutschlands Politik und Gesellschaft zeichnen sich - trotz des deutschen Völkermords an den RomNia und SintiZe - durch eine erstaunliche Kontinuität aus. Nach 1945 hat sich das Sprechen über RomNia, SintiZe und andere Markierte jedoch auch verändert und wurde chiffriert, so dass Antiziganismus in Deutschland vollkommen enttabuisiert öffentlich reproduziert werden kann, selbst wenn Vernichtungsphantasien deutlich zutage treten: "Wann werden sie endlich vertrieben?" fragt eine Boulevardzeitung etwa in einem Artikel über "aggressive Bettler" in Frankfurt.

Eine besondere Konjunktur hat der Antiziganismus dabei stets in Zeiten ökonomischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im aktuellen Diskurs über Armut und binnen-europäische Migration (mediales Schlagwort: "Armutsmigration") erlebt der Antiziganismus daher eine erschreckende Hochphase. Ausländische Wohnungslose und Arbeitssuchende werden als Gefahr für die deutsche Nation dargestellt. Die Hauptzielscheibe dieser nationalistischen Wut sind dabei vor allem RomNia und alle anderen, die der Antiziganismus markiert.

Der Vortrag veranschaulicht, wie sich einerseits im aktuellen Frankfurter Armutsdiskurs und anderseits in der örtlichen kommunalpolitischen Praxis Antiziganismus widerspiegelt und erinnert an dessen historische Kontinuität in Frankfurt. Dabei beschränkt sich der Vortrag nicht auf eine Analyse des Sprachlichen, sondern umreißt auf der Basis einer materialistischen Gesellschaftstheorie und der kritischen Kriminologie die gesellschaftlichen Grundlagen der antiziganistischen Ideologie.

Benjamin Böhm ist Politikwissenschaftler, Soziologe und Sozialarbeiter. In seiner beruflichen Praxis als Sozialarbeiter in der Wohnungslosenhilfe arbeitet er auch mit obdachlosen RomNia und SintiZe. Als freier Referent und Politologe beschäftigt er sich im Moment vor allem mit den Themen Antiziganismus, Antisemitismus, Obdachlosigkeit und neuer Armut in Europa. Er hält Vorträge und veröffentlicht Texte.

Die Veranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe "Perspektiven auf Lebensrealitäten von Rom*nja in Frankfurt - Antiziganistische Vorurteilsstrukturen von der NS-Zeit bis heute"

_source_ : http://www.frankfurter-info.org/termine/armer…